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In unserem Interview spricht Dr. Tabea Thies über ihre Forschung zu sprechmotorischen Biomarkern bei Parkinson. Sie ist Phonetikerin und Postdoktorandin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Uniklinik Köln. Für ihr Projekt ”Sprechmotorische Biomarker bei Morbus Parkinson“ wurde sie mit dem Innovationspreis der Parkinson Stiftung in der Kategorie Klinische Forschung ausgezeichnet.
Gerne! Angefangen hat alles mit einem Studium der Linguistik und der Erziehungswissenschaft. Dass ich einmal in der neurologischen Forschung landen würde, hätte ich damals wirklich nicht gedacht. Aber ein Teilbereich der Linguistik ist die Phonetik – und genau das hat mich richtig gepackt. Es geht dort um ganz konkrete, messbare Eigenschaften der Sprechproduktion, also zum Beispiel darum, wie sich Zunge und Lippen beim Sprechen bewegen, wie Sprachschall entsteht oder wie man verschiedene Laute voneinander unterscheiden kann. Das fand ich einfach faszinierend.
Der endgültige Funke ist übergesprungen, als ich zufällig einen Vortrag von Prof. Dr. Doris Mücke und Prof. Dr. Michael T. Barbe gehört habe. Die beiden arbeiten interdisziplinär an der Schnittstelle zwischen Phonetik und Neurologie. Ich dachte sofort: Das klingt spannend – da schreibe ich meine Bachelorarbeit drüber! Damals noch zum Thema “essentieller Tremor“. Aber ab da war ich “angefixt“, wie man so schön sagt. In meiner Masterarbeit ging es dann um Parkinsonpatient:innen, in der Doktorarbeit ebenfalls – und ein paar Jahre später bin ich immer noch hier.
Es ist die Mischung. Einerseits habe ich den Teil am Schreibtisch, an den Daten und Analysen. Aber ich habe auch unmittelbaren Kontakt mit Patient:innen, sehe ihre Realität, verstehe, was sie beschäftigt – und bekomme mit, wie wichtig das Sprechen für die Teilhabe am Leben ist. Das ist nicht einfach „nur Forschung“, sondern es geht darum, wirklich etwas zu bewirken. Und das macht meine Arbeit so sinnvoll.
Ganz klar: Sprechen wird in der Medizin oft unterschätzt! Alle wissen zwar, dass es irgendwann zu Sprechstörungen bei Parkinson kommt, aber in der Praxis wird wenig damit gemacht. Logopädie wird kaum verschrieben, es fehlen spezialisierte Therapeut:innen, und auch in der Forschung wurden Sprechprobleme lange als spätes Symptom eingeordnet. Dabei wissen wir inzwischen, dass Sprechveränderungen oft schon sehr früh auftreten – manchmal sogar, bevor andere Symptome überhaupt bemerkt werden.
Dazu kommt, dass Betroffene ihre Sprechveränderungen oft selbst nicht wahrnehmen. Das liegt an einem beeinträchtigten Feedbacksystem: Wenn sie leiser sprechen, kommt es ihnen ganz normal vor – und wenn sie dann versuchen, lauter zu sprechen, empfinden sie das sofort als “Schreien“. Diese Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung macht vieles komplizierter.
Wir wollen herausfinden, ob sich Sprechveränderungen als sogenannte sprechmotorische Biomarker nutzen lassen – also als messbare Indikatoren, die auf die Erkrankung hinweisen, lange bevor andere Symptome auftreten. Dafür analysieren wir akustische Sprachsignale von Menschen in unterschiedlichen Stadien der Parkinsonerkrankung, aber auch von Personen mit REM-Schlafverhaltensstörung. Diese Gruppe ist besonders spannend, weil viele von ihnen in den kommenden Jahren Parkinson oder eine verwandte Erkrankung entwickeln werden.
Wir schauen uns dabei ganz gezielt Subsysteme des Sprechens an – wie Atmung, Artikulation und Phonation – und untersuchen mithilfe von KI, ob und wann Veränderungen auftreten. Die Hoffnung ist, dass wir irgendwann sagen können: Ab diesem Punkt gibt es klare Hinweise auf eine Sprechproblematik, die mit Parkinson zusammenhängt. Und dann könnte man sehr früh therapeutisch eingreifen – vielleicht noch bevor größere Einschränkungen entstehen.
Das wohl bekannteste Symptom ist eine sehr leise Stimme, oft kombiniert mit undeutlicher Artikulation und einer veränderten Stimmqualität, die manchmal heiser oder behaucht klingt. Was viele nicht wissen: Auch die sogenannte Prosodie verändert sich – also die Fähigkeit, mit Lautstärke und Tonhöhe Betonung ins Gesagte zu legen. Viele Patient:innen sprechen dann monotoner, fast roboterhaft, was dazu führt, dass sie oft missverstanden werden – sowohl inhaltlich als auch emotional.
Das kann enorm belastend sein. Manche ziehen sich aus Gesprächen zurück, weil sie das Gefühl haben, ohnehin nicht gehört oder verstanden zu werden. Es gibt sogar Berichte, dass Betroffene als “gefühllos“ wahrgenommen werden, nur weil ihre Stimme keine Emotionen mehr transportiert. Kommunikation ist nun mal ein Grundbedürfnis – und wenn sie eingeschränkt ist, betrifft das nicht nur das Soziale, sondern auch ganz praktische Dinge im Alltag.
Weil wir wissen, dass Sprechtherapie im späteren Verlauf die Sprechfunktionen nicht mehr verbessern, sondern nur noch erhalten kann. Sobald ein gewisses Funktionsniveau unterschritten ist, lässt sich das nicht mehr zurückholen. Deshalb ist es so entscheidend, früh zu intervenieren – also genau in dem Moment, wo sich erste Veränderungen zeigen, auch wenn sie noch nicht als problematisch wahrgenommen werden. Die Kunst besteht darin, Betroffene rechtzeitig zu erreichen und ihnen die Bedeutung dieser frühen Veränderungen zu vermitteln – auch wenn sie selbst noch keine Einschränkung spüren. Das ist eine kommunikative Herausforderung, aber sie lohnt sich.
Das ist das Ziel, ja. Wir hoffen, dass unsere Erkenntnisse in digitale Tools integriert werden können – zum Beispiel als einfache Screening-Apps oder Software, die Ärzt:innen im Klinikalltag unterstützt. Eine idealtypische Vorstellung wäre ein Tool, in das Patient:innen kurz hineinsprechen, woraufhin ein Algorithmus Rückmeldung gibt: Sprechstörung ja/nein, und wenn ja – wie stark?
So etwas könnte dabei helfen, Therapien früher zu verordnen oder den Verlauf der Krankheit engmaschiger zu überwachen. Auch für die personalisierte Medizin ist das ein spannender Ansatz. An dieser Fragestellung arbeiten wir jetzt parallel in dem Forschungsprojekt „Digitale Biomarker für Sprechveränderungen bei der Parkinson-Krankheit“, das Anfang 2025 in Köln begonnen hat.
Wenn die Therapie greift – beispielsweise nach einer Tiefen Hirnstimulation (THS) – hören wir oft, dass das Sprechen nicht mehr so anstrengend ist, dass sich die Patient:innen nicht mehr ständig wiederholen müssen und sich wieder aktiver an Gesprächen beteiligen. Das sind sehr schöne Rückmeldungen, die uns zeigen, wie wichtig Sprechen für die Lebensqualität ist.
Andersherum ist es natürlich frustrierend, wenn alles besser wird – nur das Sprechen nicht. Dann versuchen wir, beispielsweise die THS-Einstellungen zu verändern, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Es ist ein ständiges Abwägen – aber wenn wir gemeinsam mit den Patient:innen eine Lösung finden, lohnt sich das.
Eine große! Wir haben eine Kooperation mit einem Start-up, das sich auf KI-basierte, sprechbasierte Biomarker spezialisiert hat. Wir wollen versuchen, große Datenmengen automatisch zu analysieren, um Muster zu erkennen, die für das menschliche Ohr nicht hörbar sind. Dabei ist mir wichtig: Die KI soll nicht einfach „blind“ entscheiden, sondern wir arbeiten eng mit phonetischen und neurologischen Fachleuten zusammen, um die Ergebnisse sinnvoll zu interpretieren. Gerade bei Parkinson ist der Verlauf so individuell – da braucht es differenzierte, intelligente Modelle, die nicht nur schwarz-weiß denken. Ich bin überzeugt, dass KI in fünf bis zehn Jahren ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik und Therapieunterstützung sein wird – nicht als Ersatz, sondern als hilfreiches Werkzeug.
Laut sprechen! Das klingt banal, aber lautes Sprechen aktiviert die Atmungsmuskulatur, verbessert die Artikulation und wirkt wie ein Ganzkörpertraining für das Sprechen. Schon fünf bis zehn Minuten täglich können viel bewirken. Wer mag, kann mit einem Smartphone und einer Dezibel-App kontrollieren, ob man z. B. die 70 oder 80 Dezibel erreicht – das ist oft nötig, um im Alltag gut verstanden zu werden. Auch das Halten eines langen Vokals (“Aaaaaa…“) auf möglichst gleichbleibender Lautstärke ist eine gute Übung. Und, wer Spaß daran hat, sollte sich einen Chor suchen und mitsingen! Das ist soziales Training, Atmungstraining und Kommunikationsförderung in einem. Es gibt sogar spezielle Parkinsonchöre – das ist nicht nur therapeutisch sinnvoll, sondern macht auch einfach Freude.
Eine sehr große. Patient:innen müssen oft von außen getriggert werden, damit sie sich bewusst machen, dass ihre Stimme zu leise ist. Ein simples „Kannst du bitte etwas lauter sprechen?“ kann schon helfen. Auch Feedback mit technischen Hilfsmitteln wie Dezibelmessern kann die Wahrnehmung verändern. Ich sage immer: Die Patient:innen können laut sprechen – sie müssen nur wollen. Oft ist es dann sogar so, dass sie in der Klinik deutlich lauter sprechen als zu Hause. Dann sagt der oder die Angehörige: „So redet er sonst aber nicht!“ Und das stimmt meistens auch. Es geht also darum, einen neuen Normalwert zu etablieren – für die eigene Wahrnehmung und für das Umfeld.
Extrem wichtig! Parkinson betrifft so viele Ebenen – motorisch, kognitiv, sprachlich – da kann man gar nicht alles alleine abdecken. Wir arbeiten eng mit Neurolog:innen, Logopäd:innen, Informatiker:innen und anderen Fachbereichen zusammen, um wirklich ein umfassendes Bild zu bekommen. Ein tolles Beispiel sind interdisziplinäre Netzwerke wie in Osnabrück. Dort kommen regelmäßig Neurolog:innen, Therapeut:innen und andere an einen Tisch, um gemeinsam Fälle zu besprechen. Ich fand das unglaublich inspirierend – das ist gelebte Zusammenarbeit zum Wohle der Patient:innen. In Köln versuchen wir gerade, so etwas mit logopädischem Fokus aufzubauen.
Was mich erfüllt, ist die Verbindung aus Forschung und echter Wirkung. Ich sitze nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern sehe, dass meine Arbeit Menschen helfen kann – und das motiviert mich ungemein. Besonders stolz bin ich tatsächlich auf den Innovationspreis der Parkinson Stiftung. Für mich war das ein Zeichen: Das Thema Sprechen wird ernst genommen – auch in der neurologischen Forschung. Und dass ich als Nichtmedizinerin in diesem Kontext Fördergelder einwerben konnte, war für mich ein echtes Highlight.
Ja, gleich zu Beginn meiner Forschung hatte ich eine Patientin, die während einer Aufnahme plötzlich sehr starke Dyskinesien entwickelte – also unkontrollierte Bewegungen. Sie hat sich dann einfach auf den Boden gelegt und meinte ganz entspannt: „Das mache ich zu Hause auch.“ Für mich als junge Forscherin war das erstmal ein Schock – aber sie war total gelassen. Das hat mir viel über den Umgang mit der Erkrankung beigebracht: Wie individuell er ist, und wie viel Gelassenheit manche Menschen mitbringen.
Ich glaube, dass Sprache und Sprechen ein immer wichtigeres Fenster in das Krankheitsgeschehen wird – sowohl für Diagnostik als auch für Therapie. Die Sprechsysteme sind fein und empfindlich, und dadurch sehr gut geeignet, kleinste Veränderungen frühzeitig zu erkennen. Und wenn wir es schaffen, daraus robuste, sprechmotorische Biomarker zu entwickeln, die automatisiert erkannt werden können, dann haben wir ein unglaublich mächtiges Werkzeug in der Hand.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre Forschung.