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PD Dr. phil. Heiko Gaßner ist ein renommierter Wissenschaftler und Experte auf dem Gebiet der Bewegungswissenschaften, insbesondere in Bezug auf Parkinson und Bewegungstherapie. Er hat sich intensiv mit den Auswirkungen von Bewegung auf die motorischen Symptome und Lebensqualität von Menschen mit Parkinsonerkrankung beschäftigt und innovative Therapieansätze entwickelt, die darauf abzielen, die motorischen Fähigkeiten und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.
Ich habe Diplom-Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation studiert und während meiner Ausbildung bei verschiedenen Patientengruppen hospitiert. Für mich sind Parkinsonerkrankte die dankbarsten Patient:innen. Obwohl sie wissen, dass sie mit einer Krankheit leben, die nicht heilbar ist und im Verlauf immer schwerere Symptome aufzeigt, nehmen sie jegliche Unterstützung an, zeigen höchste Adhärenz und sind für jede Art von Therapie oder Therapieansatz sehr dankbar. Als Therapeut bekommt man von den Patient:innen immer etwas zurück, weil sie selbst spüren, dass sie etwas tun können und nicht hilflos ausgeliefert sind. Das macht die Bewegungstherapie für mich so wertvoll für die Patient:innen. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe.
Ich denke, das Schwierigste ist die enorme Heterogenität der Parkinsonerkrankung. Patient:in ist nicht gleich Patient:in, einer hat vielleicht Schwierigkeiten mit Muskelsteifheit, die das Aufstehen erschwert, ein anderer kann sich nicht gut umdrehen oder hat einen Tremor. Viele Patient:innen bekommen Gangstörungen oder leiden im Verlauf der Erkrankung unter Sturzgefahr und Gleichgewichtsverlust. Dann ist es die Kunst, jeden dort abzuholen, wo er/sie gerade steht und an den Punkten zu arbeiten, die für ihn oder sie am wichtigsten sind. Als Therapeut oder Wissenschaftler möchte ich wissen, wo es bei den Patient:innen den größten Bedarf gibt, was die größte Alltagseinschränkung ist. Dabei können auch nicht-motorische Symptome wie verminderter Antrieb oder emotionale Störungen eine Rolle spielen. Diese müssen individuell hinterfragt und in die Therapie einbezogen werden.
Bei einer Parkinsonerkrankung gibt es zwei wesentliche Säulen der Therapie: Das eine ist die medikamentöse Therapie, die unerlässlich ist, um den krankheitsbedingten Dopaminmangel auszugleichen. Auf der anderen Seite steht die Bewegungstherapie. Dabei können wir als Therapeut:innen den Parkinsonerkrankten etwas an die Hand geben, denn wir wissen evidenzbasiert, dass ihnen diese gezielten Aufgaben helfen können. Und die Patient:innen merken sehr schnell, dass sie selbst etwas bewirken können, wenn sie jeden Tag ihr Training machen. Wir sprechen von Selbstwirksamkeit. So können sie aktiv dazu beitragen, ihre Alltagsfähigkeit und Alltagsbeweglichkeit besser zu erhalten.
Bei uns gibt es zwei ambulante Rehasportgruppen mit jeweils bis zu 15 Personen, die sich einmal wöchentlich treffen und zusammen trainieren. Die Heterogenität dieser Gruppen ist enorm. Manche Patient:innen wurden eben erst diagnostiziert und haben leichte Symptome, andere können gerade noch gut genug gehen, um zur Sportgruppe zu kommen. Dieses Spektrum muss von den Therapeut:innen bedient werden. Man muss dabei sehr gut differenzieren können, sonst werden die Übungen für den einen viel zu leicht und für den anderen viel zu schwer. Das braucht ein bisschen Übung und Schulung mit dem richtigen Fingerspitzengefühl, aber mit der Zeit funktioniert die individuelle Anpassung der Aufgaben sehr gut.
Es kommt immer darauf an, was die Patient:innen für Beschwerden haben. Aber die Quintessenz, die letztens in dem Review „Physical Exercise for People with Parkinson’s Disease: A Systematic Review and Network Meta-Analysis“ zu Bewegungstherapien bei Parkinson gezogen wurde, lautet: Bewegung hilft. Dabei ist es sekundär, welche Art von Bewegung stattfindet, die Hauptsache ist, dass sich die Leute überhaupt bewegen. Bewegung hilft in dem Maße, dass sie die Progression der Krankheit zwar nicht aufhalten, aber abschwächen kann. Das beginnt allerdings auch schon vor einer Parkinsonerkrankung. Menschen, die sich immer viel bewegt haben, profitieren von einer größeren Bewegungsressource, sie besitzen mehr Kapazitäten, mit denen sie die Symptome kompensieren können. Bewegung hilft immer und im besten Fall findet sie symptomspezifisch statt.
Absolut. Wir arbeiten sehr viel mit Musik. Insbesondere Musik, die einen guten Takt und Rhythmus hat. Marschmusik funktioniert wunderbar. Die Patient:innen lachen zwar immer erst einmal, wenn die Marseillaise aus den Lautsprechern kommt und sie marschieren sollen, aber es hilft ihnen. Die Musik funktioniert als Trigger, den sie durchs Ohr erhalten, aufnehmen und sich dann dazu bewegen. Bei Parkinson zählt dabei vor allem die Kontinuität. Studien zeigen, dass die Therapien in der Regel nur einen begrenzten Nachhaltigkeitseffekt haben, wenn man die Übungen nicht mehr ausführt. Also heißt die Devise: Dranbleiben, ständig bewegen und weiterarbeiten. Aus der Sportwissenschaft ist bekannt, dass man wirksame Trainingsreize setzen muss, um einen Erfolg zu verbuchen.
Vor allem bei der Einschätzung der Alltagsbeweglichkeit können Angehörige den Therapeut:innen hilfreiche Informationen liefern. Oftmals haben Parkinsonerkrankte Schwierigkeiten mit der Selbsteinschätzung und dann kann es helfen, wenn Angehörige als Beobachtende berichten, was ihnen aufgefallen ist. Beispielsweise bemerken Patient:innen zwar, dass sie Schwierigkeiten haben, die Beine zu heben und dadurch öfter stolpern. Aber ihnen ist vielleicht nicht aufgefallen, oder sie denken, es spielt für die Bewegungstherapie keine Rolle, dass sie sich nicht mehr alleine waschen können, oder dass sie die Knöpfe an Kleidungsstücken nicht mehr ohne Hilfe schließen können. Aber auch diesen Alltagsproblemen können wir therapeutisch begegnen und beispielsweise gezielt die Feinmotorik trainieren. Außerdem können die Angehörigen auch beim Training zu Hause helfen, indem sie daran erinnern, oder einfach mitmachen.
Die meisten Patient:innen haben am frühen Morgen noch mit Muskelsteifheit zu kämpfen und können sich nur schlecht bewegen. Das reguliert sich nach Einnahme der Medikamente, sodass der späte Vormittag für die meisten ein guter Zeitpunkt für ein Training ist. Das kann aber auch individuell unterschiedlich sein und es empfiehlt sich, dass die Patient:innen sich selbst über einen gewissen Zeitraum gut beobachten, um einen optimalen Trainingszeitpunkt zu bestimmen. Kurz gesagt, ein Training am Nachmittag oder Abend ist genauso wertvoll, wichtig ist, dass es stattfindet.
Unsere wichtigste Erkenntnis ist im Grunde genommen die Patientenzentriertheit. Der Therapieerfolg wird maßgeblich davon beeinflusst, wie gut die Patient:innen eingebunden sind. Und ein multimodales Konzept hat sich in den letzten Jahre immer weiter bewährt – also nicht nur Ausdauertraining oder Krafttraining, auch Koordination, Entspannung und Mobilisierung sind wichtige Bausteine.
Das Bewegungstraining beginnt eigentlich schon an der Bettkante, indem die Patient:innen ihre Schultern mobilisieren und versuchen, sich aufzurichten, um sicher aufzustehen. Und natürlich spielt die beinstabilisierende Muskulatur eine wichtige Rolle für das Gehen und Gleichgewicht, was im Alltag Sicherheit gibt.
Nein, gerade bei Individualsport gibt es keine klare Empfehlung. Das Wichtigste ist, dass es den Leuten Spaß machen muss. Wer tanzen möchte, soll tanzen, wer lieber Nordic Walking macht oder schwimmen geht, der soll auch das bitte weiterbehalten. Man muss nur abschätzen können, ob der Sicherheitsaspekt an irgendeiner Stelle gefährdet ist. Wenn ich beispielsweise beim Fahrradfahren vermehrt Angst habe zu stürzen, dann ist das vielleicht doch ein Grund, damit aufzuhören.
Zuerst einmal ist das natürlich eine Sache, die Spaß macht. Man ist in Gesellschaft, das Reaktionsvermögen wird geschult, man bewegt sich, der Kopf wird beschäftigt. Und wenn man es richtig macht, dann werden auch die Beine belastet, man muss in die Knie gehen und erzielt dadurch eine Kräftigung und trainiert die Gewichtsverlagerung – das ist toll.
Sehr wichtig! Unsere Patient:innen freuen sich immer sehr auf die Stunde Interaktion in der Gruppe. Deshalb würde ich auch sagen, dass digitale Therapien nur ergänzend eingesetzt werden sollten. Die menschliche Interaktion ist ein großer Motivator und bietet zugleich die Möglichkeit zum Austausch, den die Parkinsonerkrankten besonders brauchen. So können sie sich gegenseitig unterstützen und untereinander helfen.
Grundsätzlich kann man mit Bewegungstherapie schon nach einigen Wochen gute Ergebnisse erzielen. Wichtig ist dabei, dass wirksame Trainingsreize gesetzt werden. In Studien hat sich ein Training an vier bis fünf Tagen pro Woche als sinnvoll erwiesen. Aus unserer Erfahrung können wir bestätigen, dass es besser ist, täglich kürzere Reize (circa. 15 Minuten) zu setzen, als einmal pro Woche einen langen. Deshalb könnte eine App als Ergänzung zur Bewegungstherapie vor Ort für viele Patient:innen hilfreich sein.
Sie sollten auf jeden Fall unterstützen, aber nicht selbst anleiten oder ihnen sagen, was sie tun sollen. Das funktioniert in der Regel sowieso nicht innerhalb der Familie. Begleiten, aber nicht therapieren, trifft es wahrscheinlich am besten. Und ansonsten sollten sie eine gewisse Geduld und Toleranz mitbringen. Manche Dinge dauern eben aufgrund der eingeschränkten Fein- oder Grobmotorik einfach länger – und diese Zeit sollte man den Patient:innen auch geben.
Eine unserer erfolgreichsten Studien war die Laufbandstudie im Rahmen der „Emerging Fields Initiative“, die wir in Erlangen durchgeführt haben. Dabei haben die Patient:innen über einen Zeitraum von acht Wochen zweimal wöchentlich 40 Minuten lang ein Training auf dem Laufband absolviert. Die Interventionsgruppe trainierte dabei auf einem Laufband, das nicht nur die Lauffläche bewegt, sondern zusätzliche Kippbewegungen ins Training integriert hat. Dadurch sollte die Gang- und Gleichgewichtsfähigkeit besser geschult werden, indem man versucht hat, Alltagsstörfaktoren zu integrieren. Die Kontrollgruppe führte dasselbe Training durch, aber ohne Kippfunktion. Nach acht Wochen hatten sich beide Gruppe nachweislich verbessert (also schon das Training auf einem normalen Laufband bringt gute Erfolge), aber die Gruppe auf dem Wackellaufband hat sich so stark verbessert, dass man das mit einer L-Dopa-Hochdosestherapie vergleichen kann. Diese starken Effekte sind für eine reine Bewegungstherapie ziemlich herausragend.
Außerdem arbeiten wir gerade an der größten weltweiten Studie zur Bewegungsanalyse im Alltag (Mobilise-D). Wir messen mit Sensoren die Bewegungen und Mobilität der Patient:innen im Alltag, um einen realistischen Einblick in die Bewegungsmuster zu erhalten. Mithilfe der Sensorik können wir über sieben Tage kontinuierlich die Bewegungen messen und viel leichter Fluktuationen oder Herausforderungen im Alltag erkennen. Momentan sind wir noch dabei, die Unmengen an Daten auszuwerten und auch solche Dinge wie Wetter, Stimmung oder Kognition in Beziehung zu den gemessenen Daten zu setzen. Die Studie lief über einen Zeitraum von fünf Jahren, wovon wir die Patient:innen zwei Jahre begleitet haben und aktuell gewinnen wir in einer Follow-Up-Studie noch ein weiteres Jahr lang Vergleichsdaten, inklusive einer Kontrollgruppe.
Ich hatte mal eine Patientin, die war bei der Diagnosestellung etwas über 60, sehr kunst- und musikbegeistert, aber hat nach eigener Aussage nie in ihrem Leben ernsthaft Sport gemacht. Nach ihrer Parkinsondiagnose hat sie dennoch angefangen mit Bewegungsübungen und trainiert seit mittlerweile über sechs Jahren regelmäßig in einer Rehasportgruppe. Und sie kam eines Tages zu mir und erzählte mir, dass sie im Urlaub in Frankreich wieder schwimmen war, weil sie sich wieder sicher genug fühlte, das zu tun. Und was sie noch viel besser fand: Sie konnte wieder Klavier spielen – und sie hätte nicht gedacht, dass das noch einmal funktioniert. Und auch, wenn dieser Zustand nicht von Dauer sein wird, aber sie hatte so eine Freude daran, noch einmal die Dinge zu tun, die sie ihr Leben lang gern getan hat.
Herzlichen Dank für das Interview und viel Erfolg mit der Studienauswertung und dem weiteren Bewegungstraining mit vielen dankbaren Parkinsonerkrankten.