Therapie muss dort stattfinden, wo die Menschen sind.
Interview mit John M. Dean
Therapie muss dort stattfinden, wo die Menschen sind.

John M. Dean war vor seiner Ausbildung zum Sprachtherapeuten professioneller Musiker. Dann erkannte er sein Potenzial für Sprachtherapie und spezialisierte sich früh auf den Bereich der Logopädie bei Parkinson. Heute lebt er in Lissabon und möchte Parkinson-Patient:innen weltweit vernetzen und mit ihnen Online arbeiten.

Frage
Können Sie uns etwas über Ihren beruflichen Hintergrund erzählen und was Sie dazu inspiriert hat, Sprachtherapeut zu werden, insbesondere mit dem Fokus auf Parkinsonpatient:innen?
John M. Dean

Ich war ursprünglich professioneller Musiker und habe mit großer Leidenschaft Kontrabass gespielt. Eine schwere Handverletzung beendete leider meine Karriere. Während meiner Lehrtätigkeit begann ich, Gesangslinien für meine Studierenden vorzusingen, und wurde dabei auf meine eigene Stimme aufmerksam. Durch einen glücklichen Zufall wurde ich an einen renommierten Experten für Sprachtherapie bei Parkinson überwiesen – das weckte mein Interesse. Ich erkannte, dass ich mit meinem musikalischen Gehör und technischem Verständnis optimale Voraussetzungen für eine sprachtherapeutische Ausbildung hatte. So begann ich mein Studium der Sprachtherapie, arbeitete mit digitalen Hilfsmitteln und spezialisierte mich früh auf Parkinson.

In einer Pflegeeinrichtung fiel mir auf, wie viele Bewohner:innen an Parkinson litten. Das war für mich der Auslöser, interdisziplinäre Parkinsonteams aufzubauen. Später lernte ich meine Frau Josefa Domingos kennen – sie ist Physiotherapeutin – und gemeinsam entwickelten wir ein umfassendes Trainingskonzept. Heute leben wir in Lissabon und arbeiten mit Parkinsonpatient:innen weltweit – und ich bin dankbar, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.

Frage
Wie kamen Sie dazu, Onlinetrainings für Parkinsonpatient:innen anzubieten? Welche Herausforderungen brachte die Digitalisierung mit sich, und warum eignet sich das Onlineformat besonders gut für die Sprachtherapie?
John M. Dean

Onlinetrainings entstanden zunächst aus praktischen Überlegungen: Präsenzkurse sind effektiv, aber geografisch und logistisch stark eingeschränkt. Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, zu uns zu reisen. Mit dem Aufkommen digitaler Tools – besonders während der Pandemie – konnten wir unsere Kurse weiterentwickeln. Zoom wurde plötzlich ein alltägliches Werkzeug.

Wir begannen, regelmäßig interaktive Kurse anzubieten, in denen Kameras und Mikrofone bewusst eingeschaltet bleiben. Das ermöglicht direkte Rückmeldungen und individuelle Anpassungen. Heute bieten wir neun Onlinetrainings pro Woche an. Mein Schwerpunkt liegt dabei auf Sprachübungen und Kommunikation, Josefa übernimmt Bewegungstraining und Dualtask-Übungen. Onlineformate schaffen nicht nur Zugang – sie fördern auch Motivation, Struktur und sozialen Austausch.

Frage
Sie arbeiten in Nordamerika, Großbritannien und Europa. Haben Sie regionale Unterschiede in der Parkinsonversorgung festgestellt, insbesondere hinsichtlich Bewegung und Unterstützung?
John M. Dean

Ja, die Unterschiede sind deutlich. Die Niederlande haben mit „ParkinsonNet“ ein beeindruckendes Modell entwickelt: flächendeckende Versorgung durch vernetzte, spezialisierte Fachkräfte. In Deutschland gab es ähnliche Ansätze, aber die Struktur des Gesundheitswesens erschwert eine flächendeckende Umsetzung. In den USA funktioniert so etwas meist nur innerhalb großer Klinikkonzerne.

Auch die Bewegungskultur ist regional verschieden. In Colorado etwa ist Bewegung fest im Alltag verankert – Treffen finden gern beim Wandern statt. In Portugal ist das weniger ausgeprägt, was bedeutet, dass wir kreativ sein müssen, um Menschen in Bewegung zu bringen. Wichtig ist: Der Weg ist unterschiedlich, aber das Ziel – eine aktive, eigenständige Lebensweise – bleibt gleich.

Frage
Welche Rolle spielen Technologie und digitale Werkzeuge in Ihrer Arbeit mit Parkinsonpatient:innen? Wie sehen Sie die Zukunft digitaler Anwendungen in der Parkinsonversorgung?
John M. Dean

Technologie ist längst ein integraler Bestandteil meiner Arbeit. Sie hilft uns, Trainingseinheiten flexibel zu gestalten, Fortschritte zu dokumentieren und auch Diagnostik zu unterstützen. Besonders spannend finde ich die Stimme als biometrisches Messinstrument. Sie kann Hinweise auf motorische und kognitive Veränderungen liefern – ein Ansatz, an dem ich gemeinsam mit Kolleg:innen in der Forschung arbeite.

Digitale Tools wie Wearables, Apps oder maschinelle Sprachanalyse ermöglichen ein viel differenzierteres Bild vom Krankheitsverlauf. Wichtig ist, dass diese Technologien nicht kompliziert, sondern intuitiv bedienbar sind. So können sie dazu beitragen, Versorgungslücken zu schließen – auch in Regionen mit begrenztem Zugang zu Fachkräften.

Frage
Aus Ihrer Erfahrung – wie wirksam sind sprachtherapeutische Übungen über eine App, und worauf sollten Parkinsonpatient:innen dabei achten?
John M. Dean

Apps sind eine wertvolle Ergänzung zur Therapie, vor allem wenn sie einfach, motivierend und flexibel einsetzbar sind. Eine gute App sollte individuelle Rückmeldungen geben, Fortschritte sichtbar machen und im besten Fall auch ein wenig Spaß bereiten. Menschen mit Parkinson erleben häufig Antriebslosigkeit – eine zu komplexe App bleibt schnell ungenutzt. Deshalb haben wir in unseren Onlinekursen großen Wert auf eine benutzerfreundliche Gestaltung gelegt: Die Übungen sind klar strukturiert, es gibt keine komplizierte Navigation. Der Einstieg ist niedrigschwellig – genau das brauchen viele Betroffene. Natürlich ersetzt eine App nicht den persönlichen Kontakt, aber sie kann helfen, regelmäßige Übungen in den Alltag zu integrieren.

Frage
Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Missverständnisse, die Ihnen im Umgang mit Parkinson begegnen?
John M. Dean

Eines der größten Missverständnisse ist, dass Parkinson automatisch mit kognitiven Einschränkungen gleichgesetzt wird. Viele Menschen sehen jemanden mit sichtbaren motorischen Symptomen und vermuten fälschlicherweise, dass auch die geistige Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt ist. Das führt leider zu Stigmatisierung – im Alltag, im Berufsleben, sogar im medizinischen Umfeld. Ich kenne viele Parkinsonpatient:innen, die weiterhin hochqualifiziert arbeiten, in internationalen Unternehmen oder mit komplexer Technik. Diese Fähigkeiten verschwinden nicht plötzlich.

Hinzu kommt, dass viele Betroffene mit einem Gefühl der Isolation kämpfen. Wenn ihre Stimme leiser wird oder die Mimik nachlässt, verändert sich die soziale Interaktion – das wird oft nicht ausreichend wahrgenommen. Dabei ist es so wichtig, frühzeitig zu unterstützen und nicht erst zu reagieren, wenn sich die Person schon zurückgezogen hat.

Frage
Parkinson betrifft auch die Sprach- und Kommunikationsfähigkeit. Wie sehen Sie die Verbindung von physischer und sprachlicher Therapie in diesem Bereich?
John M. Dean

Die Verbindung ist für mich zentral. Kommunikation ist fast nie eine rein kognitive Aufgabe – sie ist eingebettet in Bewegung, in Alltagshandlungen. Wir sprechen beim Gehen, beim Kochen, beim Einkaufen. In der Therapie arbeiten wir deshalb oft mit sogenannten Dualtask-Übungen, bei denen Sprache und Bewegung gleichzeitig trainiert werden. Ein Beispiel dafür ist eine Stimmeinsatzübung während man sich bewegt oder auf visuelle Reize reagiert.

Diese Kombination ist alltagsnah und effektiv. Denn was nützt eine kräftige Stimme im ruhigen Therapieraum, wenn sie im realen Leben nicht abgerufen werden kann? Deshalb legen wir viel Wert darauf, die Übungen in realistische Kontexte einzubetten. Sprache ist schließlich nicht losgelöst vom Leben – sie ist mittendrin.

Frage
Welche Rolle spielt Sprachtherapie insgesamt in der Versorgung von Parkinsonpatient:innen?
John M. Dean

Sprachtherapie ist ein wichtiger Baustein in der Parkinsonversorgung – oft aber nicht ausreichend im Fokus. Etwa 90 % der Parkinsonpatient:innen entwickeln im Verlauf der Erkrankung Sprach- oder Stimmveränderungen. Diese wirken sich massiv auf die Lebensqualität aus, weil sie die Kommunikation im Alltag, im Beruf und in der Familie erschweren. Leider beginnen viele erst mit der Therapie, wenn die Einschränkungen schon sehr deutlich sind.

Dabei wäre ein früher Einstieg ideal. Schon in einem frühen Stadium kann man mit gezielten Übungen die Stimme kräftigen, die Artikulation verbessern und – ganz wichtig – das Selbstbewusstsein stärken. Denn wer sich nicht mehr traut, laut zu sprechen, zieht sich oft zurück. Sprachtherapie ist hier nicht nur funktionell, sondern auch emotional wirksam.

Frage
Welche Herausforderungen sehen Sie im Bereich Motivation? Wie gelingt es, Parkinsonpatient:innen zu regelmäßigen Übungen zu motivieren?
John M. Dean

Das ist eine sehr wichtige Frage. Viele Menschen mit Parkinson erleben Antriebslosigkeit – das ist keine Frage des Willens, sondern oft eine direkte Folge der neurobiologischen Veränderungen. Dopaminmangel, aber auch reduzierte Werte anderer Botenstoffe wie Serotonin oder Noradrenalin beeinflussen die Motivation stark.

Deshalb muss die Hürde zur Übung möglichst niedrig sein. Es geht darum, Gewohnheiten zu schaffen, die sich gut in den Alltag integrieren lassen. Kleine Einheiten, sichtbare Fortschritte und positive Rückmeldungen – all das hilft. In unserer App oder unseren Kursen achten wir darauf, dass schon nach der ersten Einheit ein Erfolg spürbar ist. Wenn jemand merkt: „Das funktioniert!“, dann entsteht Motivation von innen.

Frage
Welche konkreten Übungen oder Techniken empfehlen Sie für die Verbesserung der Stimme und Kommunikation bei Parkinsonpatient:innen?
John M. Dean

Die Methode LSVT LOUD ist sehr gut erforscht und hat sich in vielen Fällen bewährt. Sie basiert auf der Erhöhung der Sprechlautstärke, was sich positiv auf Artikulation, Stimmkraft und auch auf die Körpersprache auswirkt. Wir kombinieren diese Ansätze mit kognitiven Elementen, etwa durch Reaktionen auf visuelle oder akustische Reize.

So entstehen Übungen, die nicht nur die Stimme trainieren, sondern auch das Zusammenspiel von Aufmerksamkeit, Reaktion und Sprache. Ziel ist es, die Stimme nicht nur kräftiger, sondern vor allem alltagstauglich zu machen. Denn eine laute, klare Stimme, die auch im Gespräch mit anderen funktioniert, ist für die Lebensqualität entscheidend.

Frage
Welche Entwicklungen in der Forschung stimmen Sie besonders hoffnungsvoll, insbesondere im Hinblick auf Behandlung und Alltagsbewältigung?
John M. Dean

Besonders spannend finde ich die Nutzung der Stimme als Biomarker. In der Forschung arbeiten wir daran, mithilfe künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens Veränderungen in der Stimme zu analysieren – und daraus Rückschlüsse auf motorische und kognitive Symptome zu ziehen. Das kann helfen, Parkinson früher zu erkennen und den Verlauf genauer zu überwachen. Es geht also nicht nur um Diagnose, sondern auch um die Feinabstimmung der Therapie.

Hinzu kommen Wearables, die Bewegungsmuster erfassen, und die Analyse von Videodaten – sogenannte machine-vision-Methoden. Gemeinsam ergeben diese Technologien ein vielschichtiges Bild des Gesundheitszustands einer Person. Damit lassen sich auch individuelle Reaktionen auf Medikamente oder Übungen besser nachvollziehen. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind enorm – insbesondere für eine personalisierte, flexible Versorgung.

Frage
Wie sehen Sie die Zukunft der Parkinsonversorgung im digitalen Zeitalter, insbesondere im Hinblick auf Plattformen und virtuelle Angebote?
John M. Dean

Ich bin überzeugt, dass digitale Versorgung eine entscheidende Rolle spielen wird. Schon heute ermöglichen virtuelle Angebote vielen Menschen Zugang zu spezialisierter Therapie – auch in ländlichen Regionen oder Ländern mit begrenzter Versorgung. Das ist ein enormer Fortschritt.

Gleichzeitig bieten digitale Plattformen die Möglichkeit, Therapieinhalte individuell anzupassen. Wer beispielsweise nur zu bestimmten Tageszeiten trainieren kann, braucht ein Angebot, das sich flexibel in den Alltag integrieren lässt. Außerdem fördern Onlineangebote auch die Vernetzung untereinander – viele unserer Teilnehmer:innen fühlen sich als Teil einer Gemeinschaft. Das stärkt nicht nur die Motivation, sondern auch das emotionale Wohlbefinden.

Frage
Was finden Sie persönlich am bereicherndsten an der Arbeit mit Parkinsonpatient:innen?
John M. Dean

Ich empfinde es als großes Privileg, mit dieser Patientengruppe arbeiten zu dürfen. Viele von ihnen bringen ein enormes Engagement mit – sie wollen aktiv bleiben, gestalten, etwas zurückgeben. Das beeindruckt mich immer wieder. Oft sind es Menschen, die ihr ganzes Leben lang neugierig, lernbereit und verantwortungsvoll waren – und die das auch mit der Diagnose bleiben.

Was mich besonders freut: In der Sprachtherapie sehen wir oft schnell Fortschritte. Wenn jemand nach wenigen Sitzungen wieder besser gehört wird, klarer spricht oder sich sicherer fühlt, ist das für mich das schönste Feedback. Diese direkte Wirkung, kombiniert mit langfristiger Begleitung, macht meine Arbeit so besonders.

Frage
Wie setzen Sie einen ganzheitlichen Ansatz in Ihrer Arbeit um – sowohl körperlich als auch mental?
John M. Dean

Unsere Arbeit basiert auf einem interdisziplinären Ansatz. Sprachtherapie, Bewegung, Motivation und psychosoziale Unterstützung greifen bei uns ineinander. Meine Frau Josefa ist Expertin für Bewegungstherapie bei Parkinson – gemeinsam gestalten wir Kurse, die körperliche und sprachliche Übungen miteinander verbinden. Dabei achten wir darauf, dass es abwechslungsreich und alltagsnah bleibt.

Darüber hinaus spielt auch die emotionale Komponente eine wichtige Rolle. Viele Parkinsonpatient:innen erleben Unsicherheit, Angst oder Rückzug. Deshalb ist es uns wichtig, eine positive, unterstützende Atmosphäre zu schaffen – in der Therapie wie auch im digitalen Raum. Denn wer sich wohlfühlt, ist auch offener für Veränderung.

Frage
Welchen Rat geben Sie Sprachtherapeut:innen, die sich intensiver mit der Arbeit mit Parkinsonpatient:innen beschäftigen möchten?
John M. Dean

Zunächst: Machen Sie sich mit den Grundlagen der Erkrankung vertraut – neurologisch, funktionell und psychosozial. Dann empfehle ich, sich interdisziplinär zu vernetzen. Die International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS) bietet hervorragende Fortbildungen und Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen. Ich selbst leite dort die Gruppe der Allied Health Professionals, in der Therapeut:innen aus aller Welt zusammenarbeiten.

Wichtig ist auch die Praxis: Suchen Sie den Kontakt zu erfahrenen Kolleg:innen, hospitieren Sie, tauschen Sie sich aus. Und vor allem – hören Sie Ihren Patient:innen gut zu. Denn sie sind es, die am besten wissen, was im Alltag wirklich hilft.

Frage
Sie sind Vorsitzender der Special Interest Group für Fachkräfte im Gesundheitswesen (Allied Health Professionals Special Interest Group) sowie Co-Vorsitzender des Web Editorial Board der International Parkinson and Movement Disorder Society. Welche Ziele und Prioritäten verfolgen diese Organisationen?
John M. Dean

Die MDS wurde gegründet, um das Wissen über Bewegungsstörungen wie Parkinson weltweit zu fördern. Unser Fokus liegt auf Forschung, Fortbildung und Vernetzung von Fachkräften. Was sich in den letzten Jahren verändert hat: Wir beziehen zunehmend auch die Perspektiven von Patient:innen und Angehörigen ein. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Versorgung wirklich patientenzentriert zu gestalten.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Zusammenarbeit mit Start-ups, die digitale oder technische Lösungen entwickeln. Viele dieser Innovationen entstehen direkt aus der Parkinson-Community – und wir sehen es als unsere Aufgabe, ihnen eine Plattform zu bieten. Langfristig wollen wir ein globales Netzwerk schaffen, das Expertise, Forschung und praktische Unterstützung verbindet – und so echten Unterschied im Leben der Menschen macht.

Vielen herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft!

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